Lido im Winter
Am 25.9.1386 teilt die venezianische Signoria Ducale den Juden ein Gelände zu, das ihnen als Friedhof dienen soll. Das unbebaute Feld treten die Mönche von San Nicoló am Lido nicht widerstandslos ab, sondern strengen einen Prozeß gegen die Behörden an. Erst im Februar 1389 kommt es zu einer Übereinkunft, und die Fläche wird eingehegt. Aus demselben Jahr stammt der älteste Grabstein, der eines gewissen Samuele, Sohn des Sanson.
Riccardo Calimani, Die Kaufleute von Venedig, Die Geschichte der Juden in der Löwenrepublik, München 1990, S. 23
Das Grundstück liegt auf der Nordseite der Landzunge, die sich von hier bis nach Malamoco und weiter nach Chioggia erstreckt. Die stolze Versammlung kuppelgeschmückter Kirchen, auf schwankendem Grund kühn aufragender Glockentürme, der breit gelagerte Dogenpalast strahlen über das Wasser. Daneben wuchert die üppige mittelmeerische Pflanzenwelt der Insel San Erasmo, deren Festung den Eingang in das Wasserlabyrinth der Zauberstadt sichert. Dahinter breitet sich bei Nordwind klar und strahlend die Alpenkette von den Dolomiten bis nach Julisch Venezien aus.
Der Hafen der Stadt befindet sich zu dieser Zeit bei San Nicoló. Die Lagune ist für große Segler nicht befahrbar. Güter, die vermarktet oder gespeichert werden sollen, müssen auf kleinere Boote umgeladen und vorbei an morastigen Untiefen in die Serenissima geschafft werden. Diese Schiffe paradieren entlang dem reich begrünten guten Ort der jüdischen Gemeinde von Venedig.
Am 28.2.1819 läßt sich der englische Dichter Lord Byron hierher rudern, um westwärts zu galoppieren. Zuerst müssen die Pferde den hebräisch beschrifteten marmornen Grabsteinen ausweichen, die seit sechs Jahren zerhauen und verstreut auf dem Boden liegen. Diese Verwüstung und das Schleifen der Friedhofsmauer sollte eine nahe Geschützbatterie sichern, die der Kontinentalsperre gegen englische Kriegsschifffe diente. Die Trümmer erinnern an das kurz währende Königreich Italien.
Nazzareno Meneghetti, Lord Byron a Venezia, Venedig 1910, S. 158
The spot where we usually mounted our horses had been a Jewish cemetery; but the French, during their occupation of Venice, had thrown down the enclosures, and levelled all the tombstones with the ground, in order that they might not interfere with the fortifications upon the Lido, under the guns of which it was situated.
Thomas Moore, The Works of Lord Byron, with his Letters and Journals, and his Life, Bd. 4, London 1832, S. 226
Die großen Steine mit den hebräischen Inschriften, von Stürmen gebeugt, halb vergraben im Sand, erinnern an ein unterdrücktes Volk.
Raffaelo Barbiera, Nella città dell' amore, Passioni illustri a Venezia, Mailand 1923, S. 24
Ein Rabbiner schreibt 1648 : Vier Armlängen Erde in dieser Einfriedung wurden von oben als Besitz für alle Ewigkeit durch Leo Juda Arje da Modena gekauft. Sei barmherzig zu ihm O Herr und gib ihm Frieden.
Um 1616 hat er für den englischen König James I. ein Buch über die Geschichte hebräischer Riten verfasst.
David Werner Amram, The Makers of Hebrew Books in Italy, Being Chapters in the History of the Hebrew Printing Press, Philadelphia 1909, S. 378
Eine in Paris 1637 gedruckte, unzensierte Ausgabe der Historia degli Riti Hebraici ist in der Bayerischen Staatsbibliothek digitalisiert.
Die Grabinschrift der Dichterin Sarah Copia Sullam in wohlklingenden hebräischen Versen soll von Leone da Modena stammen.
Der Rabbiner wirkt als maestro di capella. Er erklärt 1605 mehrstimmige Chormusik in der Synagoge für zulässig und führt mit einem gelehrten Vorwort ein in die Die Lieder Salomons seines Freundes Salamone Rossi.
David Malkiel (Hrsg.), The Lion Shall Roar, Leon Modena and his World, Jerusalem 2003, S. 247
In the sixteenth century, however, Salamone Rossi, a very talented contrapuntalist who is a significant figure in the history of the world's music, attempted to add harmony to the synagogal music, attempted to introduce four-part choral singing into the synagogue, but so busy was it evading the wrath and hatred of anti-Semites that it could hardly trouble itself with extensive musical reforms.
David Ewen, Hebrew Music, A Study and an Interpretation, New York 1931, S. 36
Samuel Naumbourg, Cantiques de Solomon de' Rossi, Paris 1877
Musik : Salamone Rossi, Psalm 137, An den Strömen von Babel, Al naharot Bavel, 1622 Italien.
Prophets of the Perfect Fifth, Eitan Drori, David Feldman, David Nortman, Elam Rotem